Ein Gespräch zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie - Teil 2
Das gesellschaftliche Leben ist in Zeiten der Corona-Pandemie weitgehend zum Erliegen gekommen und es gibt wenig Alternativen für Aktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände. Wir sprechen mit der Heilpraktikerin für Psychotherapie Frau Gudrun Jay-Bößl darüber, welche Auswirkungen die Pandemie auf die Gesellschaft hat.
Kann die „neue Normalität“ auch psychische Auswirkungen auf das einzelne Individuum haben? Wir gehen dem Thema nach und beleuchten die seelischen Auswirkungen im Umfeld der Pandemie: Ein Gespräch mit Gudrun Jay-Bößl, Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigener Praxis in Hannover.
Seit der Antike wissen Menschen um den engen Zusammenhang zwischen Geist, Körper und Seele. Insofern gibt es Wechselwirkungen – daraus ist die psychosomatische Medizin entstanden, die den ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Die Übergänge zwischen einer seelischen Belastung und der körperlichen Auswirkung sind oft fließend. Zu Beginn einer psychotherapeutischen Zusammenarbeit kläre ich darum immer, dass körperliche Ursachen von ärztlicher Seite ausgeschlossen wurden.
Häufige Krankheitsbilder im Zusammenhang mit dauerhaftem Negativstress sind Burn-Out, Ängste oder depressive Störungen. Weit verbreitete Symptome sind hier - neben einer gedrückten Stimmung, Interessen- und Freudlosigkeit sowie reduziertem Antrieb bzw. erhöhter Ermüdbarkeit – auch Schlaflosigkeit bei Depressionen. Die Abgrenzung zwischen einer Burn-Out-Erkrankung und einer Depression ist aber oft sehr schwierig. Generell lässt sich sagen, dass Burn-Out-Patienten eher zu Zynismus neigen und sich und andere nicht mehr wertschätzend behandeln. In einer Depression dagegen können Menschen eher tieftraurig reagieren. Die einzelnen Störungen können auch kombiniert auftreten.
Eine depressive Episode lässt sich gemäß der gängigen Definition in der ICD 10 (International Classification of Diseases) zwei Wochen nach Auftreten der Symptome diagnostizieren. Es gibt aber sehr verschiedene Verläufe. Auch Dauer und Schweregrade können unterschiedlich sein. Es können somatische, also körperliche Ursachen, dahinterstehen, genetische oder neurochemische etc., nicht nur psychische.
Eine Depression hat oft multifaktorielle Ursachen. Darum müssen die Betroffenen auf jeden Fall zu ihrer Ärztin bzw. ihrem Arzt gehen. Diese klären, ob es einen somatischen Hintergrund gibt. Die Ärzte entscheiden auch über eine Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer. Meine psychotherapeutische Arbeit ist immer dann gefragt, wenn es sich um ein psychisches Leiden handeln kann, wenn zum Beispiel die Bewältigung des Alltags schwierig ist oder die Menschen Unterstützung für ihre Themen brauchen, sei es durch Überlastung, Stress, Krisen oder Sorgen.
Ja, es gibt ein persönliches Vulnerabilitäts-Modell, was zeigt, wie verwundbar oder verletzlich jemand auf Stress reagiert. Die Ursachen dafür können ebenfalls multifaktoriell sein. Es kann eine genetische Belastung sein. Es kann mit einer hormonellen Störung zu tun haben. Oder mit zu wenig oder zu viel Botenstoffen wie Serotonin. Oder eben mit Traumatisierungen in Kindheit, Jugend oder im erwachsenen Dasein. Traumatisierungen sind Stress pur, manchmal dauerhaft. Chronischer Stress kann neuronale Netzwerke verändern – und dies wiederum die Vulnerabilität, also die Verletzlichkeit, erhöhen.
Ja, das können Ängste sein, Panikstörungen oder Phobien, oder posttraumatische Belastungsstörungen. Diese zeigen sich mitunter erst Monate nach der traumatisierenden Situation. Das kann nach Extremsituationen geschehen – nach Kriegserlebnissen, nach Gefängnisaufenthalten, auch nach Naturkatastrophen oder einem extremen Verlust, den man selbst erlitten oder dem man beigewohnt hat, auch, wenn es enge Angehörige traf.
Wer solche gravierenden Erfahrungen durchgemacht hat und sich an mich wendet, sucht einen Weg, um beispielweise die Erinnerung daran, die sogenannten Flashbacks, oder auch die Starre, die die 5 Betroffenen hilflos und ohnmächtig zurücklässt, loszuwerden. Denn das Schlimme daran ist nicht nur, dass diese Erlebnisse die Menschen stark belasten, sondern sie auch dauerhaft stark im beruflichen Erfolg einschränken können. In meiner therapeutischen Arbeit verändern wir die emotionale Umgehensweise damit. Ein Trauma gilt in der lösungsorientierten Arbeit als bewältigt, wenn man – ohne dass es einen wieder aufwühlt – darüber sprechen kann.
Wie gesagt, kommt immer zuerst die somatische Überprüfung in der medizinischen Versorgung. Wenn Klienten zu mir kommen, weil sie überlastet sind, haben sie oft nicht gelernt, sich im positiven Sinne abzugrenzen. Daran arbeiten wir. Es geht um die Entwicklung des eigenen Selbst. Carl Rogers, der Erfinder der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, hat gesagt: Das Selbst möchte sich erhalten und entfalten. Wenn man selbst nicht so sein darf, wie man ist, denkt man auch, es stehe einem die eigene Entfaltung nicht zu. In der Therapiearbeit lernen die Betroffenen, sich selbst anzunehmen und sich im Hier und Jetzt auf ihr eigenes Leben zu konzentrieren.
Auf die eigenen Bedürfnisse zu achten – ja, achten zu dürfen! – ist wichtiger Bestandteil. Gemeinsam arbeiten wir am Aufbau von Ressourcen, oder legen „verschüttete“ Ressourcen und Fähigkeiten wieder frei. Wir stärken die Resilienz, also die Fähigkeit, auch unter Belastung die seelische Gesundheit aufrecht zu erhalten. So können meine Klienten anschließend auch wieder leichter durchs Leben gehen – und zum Beispiel „Nein“ sagen, wenn der Stress überwiegt oder sich anschickt, sich erneut dauerhaft zu etablieren. Eine weitere Möglichkeit ist auch, die „Meta-Ebene“ einzunehmen, also von außen zu schauen und ein Problem oder eine Situation als Zuschauer zu betrachten. Nur hören und sehen, dann reflektieren. Das erhöht die Handlungsmöglichkeiten und macht flexibler.
Das Entscheidende ist, die alten, hinderlichen Muster, Überzeugungen und Glaubenssätze loszuwerden. Nach dem Motto aus dem neurolinguistischen Programmieren: Wenn etwas nicht (mehr) funktioniert, tue etwas Anderes, was zum Ziel führt. Und nicht mehr vom Gleichen! Um das zu erreichen, ist neben der hilfreichen „Meta-Ebene“ auch ein „sicherer Ort“ sinnvoll. Den richten wir gemeinsam in der Therapie ein.
Denn, wenn jemand in einem akuten, emotionalen Problemzustand ist, fallen demjenigen keine Lösungen ein. Das ändern wir also. Es gibt eine Fülle an Möglichkeiten, die negativen Muster zu verabschieden – darin liegt genau ein großer Schwerpunkt meiner Arbeit. Es gilt, sich zu fragen, was wirklich wichtig ist, was man sein lassen oder reduzieren sollte. Oder aber im Gegenteil, was man verstärkt tun sollte, weil es Spaß und Freude macht oder für einen selbst sinnvoll ist. Es geht stets darum, die sich aufbauende negative Stress-Spirale frühzeitig zu unterbrechen oder zu stoppen. Es geht darum, die Freude am Leben zurück zu holen!
Liebe Frau Jay-Bößl, wir danken Ihnen für dieses aufschlussreiche Gespräch!