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Hannoveraner der Sprache auf der Spur: Deutsch im Wandel der Zeit

In Zeiten, in denen wir an Bilder und Kurztexte in Social Media, Emojis in WhatsApp oder umgangssprachliche Abkürzungen aus dem Englischen längst gewöhnt sind, ist die Frage danach interessant, wie gebräuchlich ein alt überlieferter Wortschatz in unserem heutigen Sprachgebrauch ist. Der Duden zählt inzwischen weit mehr als fünf Millionen Wörter, darunter auch Begriffe englischen Ursprungs wie „Selfie“ oder „Low Carb“. Ungeachtet dieses rasanten Wachstums an Eintragungen im Duden seit seiner Erstauflage 1880 ist strittig, ob es eine Tendenz zur Verarmung unseres Wortschatzes gibt. Oder kennen wir alte Wörter und deren Bedeutung noch, wenden sie aber im Sprachgebrauch nicht mehr an? Ehrensache, dass wir uns als Hannoveraner, die bekanntlich das reinste Hochdeutsch sprechen, dieser Frage gerne annehmen.

Hannoveraner der Sprache auf der Spur

Nicht, dass wir uns missverstehen: Globalisierung und kulturelle Vielfalt sind heute selbstverständlich und ein wertvoller Bestandteil unserer Gesellschaft. Denglisch, digitale Kommunikation, Jugendsprache – im Alltag sind wir es gewohnt, verschiedenste Sprachstile mehr oder weniger bunt miteinander zu mixen. Wir wollen wissen, ob dieses Kommunikationsverhalten einen Einfluss auf unser grundlegendes Sprachvermögen hat? Und kennen und nutzen wir heute noch „alte“ Wörter in unserem Sprachgebrauch?

„Habet acht: Der Wörter Ursprung lohnt es zu erinnern…“ – ein Ausflug ins Mittelhochdeutsch

Sprache ist und bleibt Kulturgut jeden Landes und jeder Gesellschaft. Erkennbar wird dies in der Literatur eines Landes, die sich im Laufe der Jahre mit den gesellschaftlichen Strömungen entwickelt hat und als maßgeblich für den jeweils herrschenden Zeitgeist gilt. Dabei stellt das Mittelalter (500-1500 n. Chr.) den Startpunkt der überlieferten Literaturgeschichte in Deutschland dar. Doch gibt es eigentlich Wörter oder Redewendungen aus dem Mittelhochdeutsch, der Sprache des Mittelalters, die wir heute noch genauso oder in ähnlicher Form verwenden?

Tatsache ist: Wer Sätze formuliert wie: „Mich dünkt fürwahr, mich überkäme tiefer Schlummer.“ oder „Nun eilet gar flugs von dannen, ehe die Schulglocke zu schellen anhebt.“, erntet irritierte Blicke. Dennoch ist die Botschaft dahinter Muttersprachlern sicherlich bekannt und bedarf keiner weiteren Erklärung. Sowohl der Begriff „dünken“, welcher im Mittelhochdeutschen für „scheinen“ steht, als auch altertümliche Redewendungen wie „gar flugs“ oder die mittelhochdeutsche Adverbialbildung „von dannen“, die so viel wie „fort“ bedeutet, finden im modernen Sprachgebrauch in der Regel nicht statt. Überhaupt kommen Begriffe und Redewendungen aus dem Mittelhochdeutsch entweder nicht mehr vor oder sie haben in der heutigen Verwendung eine andere Bedeutung. So stand der Ausdruck „toll“ im Mittelalter zum Beispiel nicht für „schön“, sondern „verrückt“ oder auch „wahnsinnig“.

Sprache im Wandel der Zeit: Zwei Epochen - eine Bedeutung im Laufe von über 2.000 Jahren
von Horaz (65-8 v.Chr.) bis zum Internet-Akronym (2012)

Sprache ist und bleibt eben eine lebendige Materie, die sich kontinuierlich weiterentwickelt und auf kulturelle Einflüsse reagiert. Der Horazische Appell Carpe Diem beispielsweise aus dem Gedicht „Ode an Leukonoe“, entstanden um 23 v. Chr., sowie das Internet-Akronym Yolo, das für „You only live once“ steht und von der Langenscheidt-Jury zum Jugendwort 2012 gekürt wurde, unterscheiden sich vor allem sprachlich. Die inhaltliche Aussage aber ist bei beiden ähnlich: Sie rufen zum Genießen der (begrenzten) Lebenszeit auf. So hat sich der Sinn dieser Aussage im Lauf von mehr als 2.000 Jahren nicht verändert – nur die Art und Ausdrucksweise.

Das zeigt: Der deutsche Wortschatz ist wohl nicht per se ärmer geworden. Vielmehr hat sich seine Anwendung den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst – wie es zu allen Zeiten war. Und das ist vielleicht auch das Wichtigste: Dass wir uns gegenseitig gut verstehen, auch wenn sich die Form und der Ausdruck im Laufe der Jahrhunderte wandeln. In diesem Sinne genießen wir die Sprache und unsere Möglichkeit, uns darüber miteinander auszutauschen. Und genießen wir vor allem unsere Lebenszeit!

Foto: © GVS / Adobe Stock